Artikel 05.03.2020 - Rede von Dr. Eva Thauerer

Rede auf der Anwohnerversammlung v. Dr. Eva Thauerer

(veranstaltet von der Interessengemeinschaft „Lärmschutz Passau West“)

Liebe Lärmbetroffene, liebe Politiker,
ich freue mich sehr, dass diese Versammlung dank engagierter Mitstreiter überhaupt möglich wurde. Die Vorträge sollen nicht nur informieren, sondern auch einiges bewirken. Aus diesem Grunde sind besonders Politiker und Journalisten eingeladen, sich von der Dringlichkeit unserer Anliegen zu überzeugen und entsprechend zu handeln.

In meinem Vortrag geht es wieder um das Thema ‚Lärm‘. Allerdings bin ich keine wissenschaftliche Expertin für ‚Lärm‘, sondern ‚nur‘ Betroffene und von daher in gewisser Weise unfreiwillige Expertin.

Liebe Zuhörer, unsere Welt wird mit Lärm, vor allem mit elektronischem Lärm zugemüllt - die Reizüberflutung wächst immer weiter. Wem sie dient, weiß ich nicht. Niemand wird durch sie klüger, gesünder oder zufriedener. Und das Leben wird nicht schöner. Eine allgemeine Mittagsruhe, wie sie früher selbstverständlich war, gibt es schon lange nicht mehr. Und auch die Nachtruhe ist massiv angegriffen, besonders durch die Auswirkungen der Verkehrsindustrie.

Auf der Agenda der IG „Lärmschutz Passau West“ stehen heute vor allem zwei Lärmverursacher. Das ist einerseits der Verkehr auf und an der nahen Bundesautobahn A3. Das sind andererseits die täglich hundertfachen Zugwarnsignale der Rottalbahn, die an mehreren technisch nicht gesicherten Bahnübergängen von halb sechs Uhr morgens bis halb zwölf Uhr nachts und teilweise sogar stündlich die ganze Nacht durch abgefeuert werden.

Diese Zugwarnsignale ‚beglücken‘ je nach Windrichtung fast die gesamte Stadt und weit darüber hinaus. Die impulsiven und hochfrequenten Warnsignale dringen viele Kilometer weit in die Ohren völlig unbeteiligter Menschen, die alles andere tun, jedenfalls keinen Bahnübergang überqueren. Und wenn der Wind über Tage, Wochen oder Monate eine bestimmte Richtung bevorzugt oder einfach stillsteht, hat eben auch ein bestimmter Stadtteil besonders zu leiden.

So kommt es häufig vor, dass man beispielsweise um 11 Uhr nachts schockartig aus dem Schlaf gerissen wird, weil man die lautstarke Warnung erhält, jetzt bloß nicht den Bahnübergang xy zu überqueren, selbst wenn sich dieser tief im nächtlich schweigenden Walde oder auf einem öffentlich nicht zugänglichen Privatgrundstück befindet. Schlafende Menschen haben aber gar nicht die Absicht, einen Bahnübergang zu überqueren und können auf diese Information gut verzichten. Kleiner Exkurs: Lebewesen sind naturgemäß darauf angelegt, sensibel auf Wahrnehmungen zu reagieren, jedoch nicht alle im selben Ausmaß. Wer glücklich und zufrieden mit seinem tiefen, ungestörten Schlaf ist, der sollte wissen, dass er nur deshalb so sorglos schlafen kann, weil es Mitmenschen gibt, die von Natur aus um so wachsamer sind.

Das Problem ist: Die Zugwarnsignale der Rottalbahn bestehen schon seit Jahrzehnten, allerdings nicht in der aktuellen Häufigkeit und Lautstärke. Für die direkten Anwohner waren sie schon immer belastend. Aber bekanntlich ist selten etwas so schlimm, dass es nicht auch noch schlimmer kommen könnte. Denn seit dem Frühjahr 2014 wurden die Pfeifsignale der Rottalbahn aus nach wie vor nicht genannten Gründen von einem Tag auf den anderen wesentlich schriller, lauter und durchdringender. Das führte dazu, dass nun auch ich in meiner Max-Matheis-Straße belästigt wurde. Nach unzähligen schlaflosen Nächten schrieb ich irritiert einen Brief an das Passauer Amt für Umweltschutz, außerdem an die Südostbayernbahn, an die Deutsche Bahn, an das Eisenbahnbundesamt, an Ministerien, dem Bund für Naturschutz, an das Passauer Rathaus, Leserbriefe an die PNP und so weiter.

Zustimmung, dass sich tatsächlich etwas verändert hat und dass meine Wahrnehmung richtig ist, bekam ich erstmals und eher indirekt vom Eisenbahnbundesamt, und zwar in einer sehr merkwürdigen Begründung. Das Eisenbahnbundesamt begründete nämlich die von mir kritisierte massive Anhebung der Signalstärke folgendermaßen: Da die Automobilindustrie zunehmend schalldichtere Fahrzeugkabinen herstelle, müsse die Bahn mit um so lauteren Warnsignalen reagieren. Das sei doch schließlich einsehbar.

Und tatsächlich: Mancherorts ist die allgegenwärtige Drangsalierung mit akustischen Signalen so weit fortschgeschritten, dass selbst an Bahnschranken durchdringende Piep-Signale hörbar werden, die die Nerven oder deutlicher gesagt die Seelen der Anwohner peinigen. Denn, man glaubt es kaum, es gibt noch Menschen, die eine Seele haben und die die Absurditäten, die um sie geschehen, schmerzlich wahrnehmen.

Nun frage ich: Darf man mit einer solch kurzschlüssigen Begründung, wie sie mir das Eisenbahnbundesamt vorgetragen hat, einverstanden sein? Dass der Signal-Lärm immer weiter zunehmen muss, weil man sich auf der anderen Seite gegen Lärm abzuschirmen versucht? Nein, das darf man selbstverständlich nicht.

Angesichts zahlreicher Unfälle an technisch nicht gesicherten Bahnübergängen ist es zudem erstaunlich, dass Zugwarnsignale als juristische Rechtfertigung dienen, obwohl sie keine effektive Sicherung bieten. Denn effektive und umweltverträgliche Sicherheit bei der Überquerung von Straßen und Gleisen bieten in erster Linie verlässliche optische Sicherungen. Dazu wären nicht einmal teure Schranken oder aufwendige ‚Umlaufsperren‘ wie am Bahnhof Neustift nötig. Blinkende Andreaskreuze würden zumindest an kleineren Bahnübergängen völlig ausreichen.

Was die Rottalbahn betrifft, so besitzt die Strecke anscheinend eine signaltechnische Elektrifizierung, weshalb eine Sicherung durch blinkende Andreaskreuze machbar wäre. Fahrtechnisch hingegen ist die Strecke der Rottalbahn nicht elektrifiziert, weshalb die Bahn mit Dieselkraftstoff fährt, von dem sie täglich mehrere Tausend Liter verbraucht. Somit ist diese Bahn in ihrer jetzigen Betriebsform auch hinsichtlich Luftreinheit nicht besonders umweltverträglich.

Wenn, wie diverse Politiker immer wieder predigen, mehr Menschen die Bahn benutzen und Güter auf Gleise verlagert werden sollen, möge man doch bitte auch die entsprechende Infrastruktur schaffen, vor allem auch an den Lärmschutz für die Anwohner denken. Für eine bessere Akzeptanz der Bahn ist es sicherlich nicht dienlich, wenn der Zug durch zahlreiche ungesicherte Bahnübergänge immer wieder zu Schrittempo gezwungen wird und dadurch nicht nur unnütz viel Energie verbraucht, sondern auch die Fahrzeit erheblich verlängert wird.

Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, befährt die Südostbayernbahn, zu der die Rottalbahn gehört, ca. 300 unbeschrankte Bahnübergänge. Allein in Bayern sind es übrigens ca. 1700 Bahnübergänge, an denen regelmäßig Warnsignale ertönen. Zugwarnsignale sind deshalb an vielen Orten zur Lärmbelästigung und gesundheitlichen Gefahr geworden, zum Beispiel, wie mir berichtet wurde, auch entlang der Strecken der Ilztalbahn, der Waldbahn oder auch der Granitbahn.

Was können wir Privatleute nun tun, um das zu bewerkstelligen oder geradezurücken, was die staatlichen Steuerungssysteme versäumen oder falsch machen? Vom „Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr“ bekam ich den Vorschlag, eine Petition an den Deutschen Bundestag zu richten, da allein „der Bundestag eine Änderung der Rechtsvorschriften herbeiführen“ und „zudem die finanziellen Grundlagen […] für eine beschleunigte Beseitigung nicht technisch gesicherter Bahnübergänge“ schaffen könne. Ja, vielen Dank, liebes Ministerium, für diese Anregung. Da müsste ich aber erst einmal genau formulieren, was der Bundestag denn eigentlich beschließen soll. Er sollte also die veraltete Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung gründlich überarbeiten, außerdem finanzielle Mittel bereitstellen, dass einerseits auf den Bahnübergängen Sicherheit herrscht und andererseits Anwohner nicht durch unmäßigen Lärm belästigt werden.

Ebenso gut könnte ich schreiben: Bitte, lieber Bundestag, erinnere Dich an Deine Verantwortung und Aufgabe, den Menschen hierzulande Rahmenbedingungen für ein gutes und gesundes Leben zu schaffen. Worauf ich hinaus will: Wir Bürger sollen also auf unsere eigenen Kosten und mit unseren eigenen begrenzten Informationen und Hilfsmitteln die Arbeit übernehmen, die eigentlich dem Gesetzgeber zukäme, im Grunde genommen außerparlamentarische Oppositionsarbeit, allerdings ohne finanzielle, bürokratische und juristische Ausstattung und ohne viel Aussicht auf Erfolg. Denn die allermeisten Petitionen landen mehr oder weniger unbeachtet im Papierkorb oder werden – wie im aktuellen Falle der Angerer-Petition – ohne ersichtlichen Lösungswillen vom Tisch gefegt.

Liebe Zuhörer, ein Staat ist sinnvollerweise dazu da, in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit Übelständen entgegenzuwirken und sie zu beseitigen, am besten aber durch weitsichtige Entscheidungen erst gar nicht entstehen zu lassen. Ein Staat ist nicht dazu da, Missstände zu verursachen, zu tolerieren oder bewusst zu verschärfen. Schließlich ist es ja nicht so, dass das Leiden an vielfältigen Formen der Umweltverschmutzung völlig im Verborgenen stattfindet und die politische Elite darüber nichts weiß. Gelegentlich könnte der Gesetzgeber auch von sich aus aktiv werden und auf Verbesserungen hinwirken, statt im Sinne von immer mehr ungesundem Wirtschaftswachstum und fragwürdigen Aufträgen an die Industrie Mensch und Natur nach Belieben zu schädigen und auszubeuten.

Was lässt sich nun gegen die Ignoranz des Staates gegenüber vorrangigen Werten und Menschenrechten tun, was tun gegen Entrechtung, Entwertung, Konformismus, Unfreiheit, Umweltverschmutzung, Verblödung und Abstumpfung aller Sinne, was tun gegen die um sich greifende Herrschaft eines seelenlosen Materialismus, der niemals begreift, was für Mensch und Natur gut ist? Wir sollten wirklich überlegen, ob wir eine Politik tolerieren, die sich gegenüber größeren und vernünftigen Zusammenhängen blind und taub zeigt und sich mit ihren bürokratischen Maßnahmen eher gegen als für die beseelte Natur einsetzt.

Hinzu kommt allerdings ein weiteres Grundübel unserer bildungsbefreiten Gesellschaft, nämlich, dass es viel zu wenige aufmerksame und mutige Menschen gibt, die dem kurzsichtigen ‚immer weiter so‘ staatlicher und anderer Institutionen ein Stoppschild entgegenhalten.

Was bleibt also übrig? Die einzige Möglichkeit, sich effektiv zu wehren, besteht darin, nicht so zu funktionieren, wie es uns das System vorschreiben möchte. Intelligente Vorschläge sind sehr willkommen.

Danke schön!